Kennen Sie Ihre Aktionäre oder lieben Sie Überraschungen zur HV? 

SRD II erleichtert die Shareholder-Identifikation.

Lästige Pflichtübung oder einzigartige Chance zum Dialog mit den Aktionären – die Herangehensweise an die Hauptversammlung ist so unterschiedlich wie die Bandbreite der börsennotierten Unternehmen. Was sie alle eint, ist die Notwendigkeit zur äußert gründlichen Vorbereitung der alljährlichen Aktionärsversammlung. Eine genaue Analyse der Aktionärsstrukur ist dafür die Basis. Dank der Shareholder Rights Directive II geht das nun deutlich schneller und günstiger.

Für die meisten börsennotierten Unternehmen mit Inhaberaktien war die Hauptversammlung bislang die einzige Gelegenheit im Jahr, an der sie mit all ihren Aktionären in Kontakt treten konnten. Allerdings geschah das in der Vergangenheit nur indirekt, über die depotführenden Banken. Wem die Aktien der Gesellschaft tatsächlich gehörten, erfuhren sie nur, wenn die Aktionäre auf die Einladung reagierten und sich zur HV anmeldeten bzw. ihre Stimmen abgaben. Je nach Präsenz ergab sich ein mehr oder weniger vages Bild der Eigentümerstruktur. 

Wer es zu anderen Zeitpunkten oder genauer wissen wollte, der musste eine Aktionärserhebung oder “Share ID” durchführen. Dabei waren die Ergebnisse bislang oft nicht wirklich zufriedenstellend. Die Informationen liefen, wenn überhaupt, dann meist nur schleppend ein. Für Banken gab es weder eine Pflicht zu antworten, noch eine Maßgabe, dies in einer gewissen Zeit zu tun. Der Aufwand war für alle Beteiligten hoch, ebenso die Kosten. Das Ergebnis jedoch nur bedingt aussagekräftig – allein durch die Tatsache, dass die Datenerhebung sich über mehrere Wochen verteilen konnte. Außer den Namen institutioneller Aktionäre und der Zahl der von ihnen gehaltenen Anteile war nicht viel zu erfahren.

Da ist es kaum überraschend, dass hierzulande die wenigsten Unternehmen eine regelmäßige Erhebung durchführten. Wer eine “Share ID” beauftragte, der hatte in der Regel einen besonderen Anlass. Ein solcher ist typischerweise die bevorstehende HV – also genau das Ereignis, an dem ohnehin Informationen über die Aktionäre einlaufen. Warum? Weil bei kritischen HV-Beschlüssen wichtige Aktionäre im Vorfeld abgeholt werden und Mehrheiten organisiert werden sollen. Hier ist es schon sinnvoll, im Vorfeld der Veröffentlichung der Tagesordnung kommunikativ das Feld zu bestellen. Die Unternehmen, die im zweiten Quartal 2022 ihre Aktionärsversammlung abhalten werden, befinden sich nun genau in dieser Phase.

Governance Roadshows – Die Antwort auf den Trend zur zunehmenden Einflussnahme von Investoren 

Aber nicht nur kritische oder aktivistische Investoren verlangen einen intensiveren Dialog. Immer mehr institutionelle Anleger konzentrieren sich auf den Aspekte ihrer Anlagen, die über die monetäre Rendite hinausgehen. Dies hat dazu geführt, dass es immer häufiger zu Abstimmungen über wichtige Governance-Fragen kommt. Zuletzt mehrten sich auch die Einflussnahme auf Wahlen zum Aufsichtsrat oder Investoren stießen Diskussionen über Umweltauswirkungen, nachhaltige Geschäftspraktiken oder Diversität an.

Da die institutionellen Anleger eine aktivere „Stewardship-Rolle“ anstreben, sollten IR-Abteilungen sich auch verstärkt auf die Governance-Experten unter ihren Anlegern einstellen. Das ist durchaus eine Neuausrichtung, konzentrierten sich die IR-Teams in der Vergangenheit fast ausschließlich auf die Portfoliomanager und Analysten, die die Kauf-/Verkaufsentscheidungen trafen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Aktionärsbasis und die Kenntnisse über deren Zielsetzungen in Bezug auf ökologische, soziale und Governance-Aspekte (“ESG”) ist die Basis. Die Kenntnis der Aktionärsstruktur dafür wiederum Voraussetzung.

Schneller und günstiger an bessere Daten 

Die Anfang September 2020 in Kraft getretenen Regelungen der  Shareholder Rights Directive II (SRD II), schaffen jetzt völlig neue Voraussetzungen für die Aktionärserhebungen – bislang allerdings nur für die in regulierten Märkten notierten Emittenten. Für die gilt nun die einfache Formel: Schneller und günstiger und bessere Daten. Alle Beteiligten sind verpflichtet, Informationen unter strengen zeitlichen Vorgaben – in der Regel am selben Tag – auf elektronischem Weg weiterzuleiten. So hat sich die Bearbeitungszeit von früher sechs bis acht auf nunmehr zwei bis drei Wochen halbiert. Eine weitere Verkürzung auf ein bis zwei Wochen ist das Ziel. Dabei werden Offenlegungsquoten von 95 bis 99 Prozent des Kapitals erreicht. Die Neuregelung erfasst auch Finanzintermediäre mit Sitz außerhalb der EU, bspw. die Schweiz, Lichtenstein oder USA, wenn sie für ihre Kunden Aktien betroffener Gesellschaften verwahren. 

Auch der Aufwand hat sich gegenüber der manuellen Erhebung wie in Vor-SRD-II-Zeiten signifikant reduziert – und damit auch die Kosten, und zwar um mindestens die Hälfte. Das ist gut, denn so können sich Unternehmen eine Aktionärserhebung in kürzeren Abständen leisten, womit die Daten durch Status-Vergleich erst richtig an Aussagekraft gewinnen.

Neben dem Namen ihrer Investoren und der Information zum Bestand erhalten die Emittenten nun auch die komplette Anschrift, bei privaten Anlegern gegebenenfalls sogar das Geburtsdatum. Von institutionellen Depothaltern erfährt der Emittent die Legal Entity Identifier-Kennzeichnung, kann die Bestände so bis auf einzelne Fonds hinunter zuordnen. Das eröffnet neue Perspektiven für die IR-Arbeit und ermöglicht einen intensivere Kommunikation, ganz egal ob mit Fondsmanagern oder privaten Anlegern. Und es soll ja tatsächlich auch Unternehmen geben, welche die HV nicht als lästige Pflichtveranstaltung sehen, sondern sie als Event gestalten, das die Aktionäre in die Unternehmensentwicklung einbindet, um diese so an das Unternehmen zu binden.

Götz Dickert, Geschäftsführer Captrace GmbH

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